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veröffentlicht am Donnerstag, 28. September 2006, 07:43 Uhr
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NiPrint 2006 Die Theorien Erving Goffmans befassen sich mit den Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen in sozialen Räumen, der Mikrostruktur der Kommunikation und der Konstruktion sozialer Realitäten. Dieser Text soll mit Hilfe der Kategorien des amerikanischen Soziologen die Strukturen hinter der Rhetorik der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag offen legen.

Zum Text.

Es ist wohl ein Zufall der Geschichte: Zu dem Zeitpunkt als die deutschsprachige Erstausgabe von Erving Goffmans Werk "Wir alle spielen Theater"[1] erschien, war die neonazistische NPD in sieben Landesparlamenten mit insgesamt 61 Abgeordneten vertreten und verfehlte nur knapp den Einzug in den deutschen Bundestag.

Nachdem die NPD mehr als 30 Jahre lang nahezu in der Bedeutungslosigkeit verschwunden war, meldeten sich die Neonazis umso bedrohlicher zurück. "Unser Ziel ist das Reich - unser Weg die NPD! Der Kampf um Deutschland hat begonnen!" tönte der Parteivorsitzende Udo Voigt im März 2002. Zwei Jahre später ziehen die Neonazis mit den Stimmen von 190.909 WählerInnen in den sächsischen Landtag ein und haben 2006 gute Chancen, in das zweite ostdeutsche Landesparlament einzuziehen. Oft wird der NPD Populismus vorgeworfen. Unter "Populismus" versteht man opportunistische Politik, welche nicht nach konkreten Lösungsvorschlägen sucht, sondern auf Schlagworte setzt, welche Emotionen in der Bevölkerung auslösen. Die letzten EMNID- Prognosen[2] bestätigen auf erschreckende Weise, dass der Mix aus NPD- Populismus, Rassismus und Antisemitismus funktioniert.

Die Theorien Erving Goffmans befassen sich mit den Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen in sozialen Räumen, der Mikrostruktur der Kommunikation und der Konstruktion sozialer Realitäten. Dieser Text soll mit Hilfe der Kategorien des amerikanischen Soziologen die Strukturen hinter der Rhetorik der NPD- Fraktion im sächsischen Landtag offen legen.

Das Ensemble



Unter einem Ensemble versteht Goffman jede Gruppe von Individuen, die gemeinsam eine Rolle aufbauen. Die NPD- Fraktion im sächsischen Landtag soll nachfolgend als ein solches Ensemble bezeichnet werden. "An Stelle einer vielseitigen Situationsbeschreibung muss die Realität auf eine magere Parteilinie reduziert werden, denn es ist zu erwarten, dass die gemeinsame Bestimmung der Situation den verschiedenen Mitgliedern des Ensembles in unterschiedlichem Grade entspricht. (...) Auf der anderen Seite kommt als neuer Faktor die Loyalität gegenüber dem Ensemble und die Unterstützung der Ensemblemitglieder ins Spiel." (Goffman: 80) Innerhalb des Ensembles kommt es zur Verteilung der verschiedenen Rollen und persönlichen Fassaden. In der NPD- Fraktion sind die Themenfelder scheinbar klar verteilt. Alexander Delle soll sich als die wirtschaftspolitische Stimme, die einzige Frau, Gitta Schüßler, traditionell als die familienpolitische Sprecherin oder beispielsweise Johannes Müller als der Fachmann in der Gesundheitspolitik profilieren. Bis hierher unterscheidet sich die NPD wenig von den demokratischen Parteien im sächsischen Landtag.

Die Vorderbühne



Die Vorderbühne der NPD- Landtagsfraktion ist das Plenum. Da dieser Bereich die größte öffentliche Wahrnehmung verspricht, wird hier besonders viel investiert. "Kontrolle über die Vorderregion ist eine Maßnahme der Zuschauersegregation. Ist der Darsteller unfähig, diese Kontrolle auszuüben, gerät er in eine Lage, in der er von einem Augenblick zum nächsten nicht weiß, welche Rolle er projizieren muss, und es wird ihm schwer, in irgendeiner Richtung dramatisch Erfolg zu haben." (Goffman: 126) Ein Problem, welchem sich die NPD gegenüber sieht, ist die Heterogenität ihrer WählerInnen. Diese setzen sich nicht ausschließlich aus überzeugten Neonazis zusammen. Das Publikum, welches durch ihre Auftritte beeindruckt werden muss, sind einerseits unzufriedene BürgerInnen: "Es geht darum, dass Teile der etablierten Politik offenbar bemüht sind, ein Bild von Langzeitarbeitslosen zu malen, das diese als Schmarotzer, Drückeberger und Schwarzarbeiter darstellt. Dagegen verwahrt sich die NPD-Fraktion aufs Schärfste!"[3] , aber auch DDR- NostalgikerInnen: "Um die fatalen Folgen ihrer Politik zu kaschieren, sagt die Staatsregierung in der Antwort auf unsere Anfrage: Auch die geburtenpolitischen Maßnahmen der DDR trugen nicht dazu bei, den anhaltenden Alterungs- und Schrumpfungsprozeß zu verlangsamen. Eine grandiose Lüge! Sie trugen durchaus dazu bei, was ohne weiteres belegt werden kann."[4] , sowie selbstverständlich auch Menschen vom gleichen politischen Schlag, wie die NPD- Abgeordneten selbst: "Ich (..) möchte an dieser Stelle nur mitteilen, dass unsere Fraktion die nächsten Jahre nutzen wird, um auch hier im Sächsischen Landtag mächtige Schneisen in das Dickicht antideutscher Geschichtslügen zu schlagen. Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaftigkeit aufgenommen."[5] . Der NPD kommt es im Plenum weniger darauf an konstruktive Vorschläge zu machen, welche einen realistischen Umsetzungsanspruch haben, als vielmehr darauf, keine ihrer WählerInnengruppen zu verprellen.
Nicht immer gelingt der NPD dieser Drahtseilakt. Der selbsternannte Anführer der gewaltbereiten Dresdner Kameradschaftsszene Ronny Thomas forderte im Juni 2005 enttäuscht: "Der Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag und die parlamentarische Arbeit darf nicht zum Selbstzweck für Abgeordnete und Mitarbeiter werden, sondern hat sich dem politischen Wollen einer politischen Bewegung unterzuordnen." Infolgedessen ist in der Rhetorik der NPD auf der Vorderbühne keine Stringenz zu erkennen. Zu jedem Themenbereich versuchen die Neonazis diejenigen Eindrücke an das Publikum zu vermitteln, welche ihnen den Zuspruch möglichst vieler ihrer WählerInnengruppen sichern, ohne eine ihrer wichtigsten UnterstützerInnen, die aktionistische Neonaziszene, überzustrapazieren. Die NPD ist auf die Kameradschaftsszene angewiesen, nicht nur "im Kampf um die Straße", sondern vor allem auch für Aufgaben, wie z.B. das Verteilen von Flyern und Aufhängen von Wahlplakaten. Um den Eindruck des inhaltsleeren Populismus abzuschwächen, sind die Darstellungen darum bemüht den Eindruck zu erwecken, die NPD selbst sei an sachlicher Auseinandersetzung interessiert. Immer wieder werfen die Neonazis den demokratischen Parteien Regelverletzungen vor, nachdem sie selbst inakzeptable Positionen eingenommen haben. Nach der Verweigerung der NPD- Fraktion den Opfern des Holocaust in einer Schweigeminute zu gedenken und ihren Phrasen vom "Bombenholocaust" tönten sie in derselben Sitzung: "Die Einzigen, die sich an diesem Tage die Maske vom Gesicht gerissen haben, waren die antidemokratischen Parteien, die Etablierten, die deutlich gemacht haben, dass sie den Austausch von Argumenten mit den Vertretern der nationalen Opposition (...) feige scheuen und nicht gewillt sind, in den von ihnen viel beschworenen demokratischen Dialog einzutreten."[6]

Die Hinterbühne



Einen besonderen Einblick in den Stellenwert der Darstellungen auf der Vorderbühne erhält man laut Goffman bei der Beobachtung des Übergangs von Vorderbühne zu Hinterbühne. Interessant ist es im sächsischen Landtag den langjährigen Adjutanten und jetzigen Mitarbeiter der Neonazis, René Despang, zu beobachten während er die Redebeiträge seiner Koryphäen von der Zuschauertribüne aus filmt. Offensichtlich dienen die Aufnahmen nicht nur zur Veröffentlichung auf der Fraktionshomepage und damit zur Untermauerung der Darstellungen auf der Vorderbühne, sondern vor allem zur rhetorischen Nachbereitung. "Hier kann das Ensemble, wenn keine Zuschauer da sind, seine Vorstellung proben und sie auf Anstoß erregende Ausdrücke hin kontrollieren. Hier können die schwächeren Ensemblemitglieder, die im Ausdruck ungeschickt sind, trainiert oder aus der Besetzungsliste gestrichen werden." (Goffman: 104) Der MitarbeiterInnenstab ist die eigentliche Stärke der NPD- Fraktion in Sachsen und unterscheidet sie grundlegend von allen bisher da gewesenen Neonazi- Fraktionen in bundesdeutschen Abgeordnetenhäusern. Die sächsischen Neonazis scheinen aus vergangenen Parlamentserfahrungen rechtsradikaler Parteien und Gruppen gelernt zu haben. Die Vor- und Nachbereitung der Auftritte auf der Vorderbühne geschieht gewissenhaft und das Herausposaunen der eigentlichen menschenverachtenden Ideologie wohl dosiert. Hier ist bei der NPD- Landtagsfraktion ein Lernprozess zu beobachten. In den ersten Monaten ihrer Parlamentsmitgliedschaft taten sich die Abgeordneten ausgesprochen schwer ihre Fassade aufrecht zu erhalten, doch schaffen es in letzter Zeit immer besser. Besonders deutlich wird dies auch, wenn man die NPD- Veröffentlichungen zu gleichen Themen auf der Hinterbühne mit den Wortmeldungen auf der Vorderbühne vergleicht. Während z.B. die Thematik des Bevölkerungsrückganges im Plenum im Juli 2006 betont sachlich dargeboten wird[7], heißt es auf der Hinterbühne dazu: "Das ist die Aufgabe unserer Generation, (...), dass sich unsere Lebenserfahrungen auf eure Generation übertragen und ihr den Mut habt in diesem Sinne, dass die Erhaltung des deutschen Volkes und in dieser Dimension müssen wir heute auch denken, die Erhaltung der gesamten weißen Rasse im europäischen Raum ermöglicht wird."[8]

Die Sonderrollen



Ein Grundproblem jeder Darstellung ist die Informationskontrolle. Das Publikum darf keine destruktiven Informationen über dargestellte Situationen erhalten, die den Eindruck, welchen das Ensemble vermitteln will, untergraben. "Zunächst gibt es die so genannten >>dunklen Geheimnisse<<; Tatsachen über ein Ensemble, die ihm bekannt sind und die es verheimlicht, weil sie mit seinem >>Image<< unvereinbar sind." (Goffman: 129) Am Beispiel des Druckes der Parteizeitung "Deutsche Stimme" in Polen und Litauen wird deutlich, wie angreifbar das Ensemble an diesem Punkt ist. Die NPD- Fraktion im sächsischen Landtag vertritt grundsätzlich eine EU- feindliche Position und wettert gegen das so genannte "Abwandern der sächsischen Arbeitsplätze nach Osteuropa." Die Worte der NPD- Abgeordneten zur Thematik klingen mit dem Wissen über diese "dunklen", internen "Geheimnisse" zum "Deutschen Stimme - Druck" regelrecht lächerlich. "Mit dem Import osteuropäischer Lohndrücker und Arbeitsplatzdiebe geht der Export deutscher Arbeitsplätze nach Osteuropa einher. In großem Stil verlagern Unternehmen ihre deutschen Arbeitsplätze in die neuen EU-Staaten mit ihren niedrigen Sozial-, Umwelt- und Steuerstandards. Gleichzeitig unterliegen kleinere Unternehmen, die im Lande bleiben, im Gegensatz zu ihren osteuropäischen Konkurrenten."[9] Beim Austritt von Baier, Schön und Schmidt aus der Fraktion war der Angstschweiß der Neonazis regelrecht spürbar. Um zu verhindern das "dunkle" oder "strategische Geheimnisse" von der Hinterbühne auf die Vorderbühne gelangen, reagierte man mit Unterlassungsklagen und einer ganzen Batterie von Presseerklärungen auf allen Parteiebenen, in denen die drei Abweichler auf verschiedenste Weise verunglimpft werden sollten.

Das Selbst und seine Inszenierung



"Wie zahllose Volksmärchen und Initiationsriten zeigen, ist das Geheimnis, das hinter dem Mysterium steht, oft die Tatsache, dass es in Wirklichkeit kein Mysterium gibt; das wirkliche Problem besteht darin, das Publikum daran zu hindern, dies ebenfalls zu bemerken." (Goffman: 65) Nicht nur in Bezug auf die Rhetorik der NPD bezüglich der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg scheint dieser Satz eine hilfreiche Handreichung zur Auseinandersetzung mit der NPD- Landtagsfraktion zu sein. Insbesondere die gesamte demokratische Öffentlichkeit sollte dazu aufgefordert sein, die Unaufrichtigkeit und den Zynismus der neonazistischen Rhetorik immer wieder aufzudecken und zu entzaubern. Wenn die Hinterbühne der NPD auf eine Art und Weise ins Rampenlicht gezogen werden kann, die dazu führt, dass die Abgeordneten geblendet die Augen zusammen kneifen, dann bleiben nur diejenigen NPD- WählerInnen übrig, die schon selbst zur Hinterbühne hinzugezählt werden können. Dass dies vor allem in Sachsen nicht wenige sind, zeigen neben den alarmierenden Wahlergebnissen beispielsweise auch die Veröffentlichungen des Landesamtes für Verfassungsschutz[10], wonach das Bundesland deutschlandweit die meisten "Rechtsextremisten" je 100.000 Einwohner aufweist und somit die Hochburg der Neonazis in der Bundesrepublik ist. Nach wie vor kann davon ausgegangen werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der WählerInnen ihr Kreuz bei der NPD gemacht hat, gerade weil diese sich rassistisch, antisemitisch und undemokratisch positioniert. Die ParlamentarierInnen der demokratischen Parteien im Landtag dürfen die inhaltliche Dekonstruktion des NPD- Populismus nicht scheuen, denn: "Wo es keine objektiven Kriterien für bestimmte Qualifikationen gibt und wo die wirklichen Fachkenner nicht zum Schutz ihrer Stellung organisiert sind, kann sich jeder zum Experten ernennen." (Goffman: 57)

Fußnoten:

[1] Erving Goffman. (1969). Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. Piper Verlag: München.

[2] Bei der EMNID- Prognose im Auftrag der Sächsischen Staatsregierung vom 18.07.2006 stabilisierte sich die NPD bei 6 % der WählerInnenstimmen.

[3] Holger Apfel am 22.06.2006

[4] Holger Apfel am 20.07.2006

[5] Jürgen Gansel am 21.01.2005

[6] Holger Apfel am 21.01.2005

[7] siehe NPD- Redebeiträge zur Landtagssitzung am 20.07.2006

[8] Herbert Schweiger am 05.08.2006 in Dresden

[9] Jürgen Gansel im November 2005

[10] vgl.: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen: Entwicklungstendenzen im Extremismus im Freistaat Sachsen im 1. Halbjahr 2006 sowie bundesweite Zahlenvergleiche für 2005. vom 07.08.2006.


 
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