Am 19.10.2004 kam der neue sächsische Landtag einen Monat nach der Wahl erstmals zusammen. Erstmals fand eine Landtagssitzung statt, an welcher bekennende Neonazis als gewählte Abgeordnete teilnahmen. Hier zwei Pressestimmen zu diesem Tag.1. Plenarsitzung
Der Fraktionsvorsitzende der rechtsextremen NPD im Sächsischen Landtag Holger Apfel verwies in seiner ersten Rede im Parlament darauf , dass eine Grundregel des Parlamentarismus die klare Trennung von Regierung und Opposition sei, da diese aber durch das „Parteienkartell“ nicht gegeben ist, sei die NPD die letzte moralische Instanz des Hauses.
Auch ist die NPD- laut Apfel- bestrebt, eine konstruktive Zusammenarbeit zu suchen, wenn diese zu positiven Ergebnissen und Lösungen für Deutsche führt.
Frankfurter Rundschau, 20.10.2004
Erinnern an die NS – Opfer – vor grinsenden NPD – Abgeordneten
In Dresden kam der neu gewählte Landtag zusammen. Das besondere Interesse galt der NPD, deren zwölf Abgeordnete vor allem durch ihr Schweigen auffielen.
Blauer Himmel über Dresden, schönstes Herbstwetter, Raddampfer stampfen über die Elbe am Sächsischen Landtag vorbei. Und nichts ist mehr so wie bei den Parlamentssitzungen in den vergangenen 14 Jahren. Dutzende Polizisten bewachen das weiträumig abgesperrte Plenargebäude, ungefähr 250 Demonstranten stehen davor. Die Grünen – Abgeordnete Antje Hermenau ruft ihnen zu: Heute wolle die NPD Sachsen erobern, morgen Deutschland, übermorgen die ganze Welt. Die erste Landtagssitzung des neu gewählten Landtages: Erstmals keine absolute CDU – Mehrheit mehr, die Koalitionsverhandlungen mit der SPD dauern an. Erstmals sechs Parteien, erstmals Rechtsextremisten: Zwölf der 124 Abgeordneten gehören der NPD an, die bei der Wahl am 19. September 9,2 Prozent Stimmenanteil geholt hatte. Kurz vor zehn Uhr betreten elf NPD – Männer und eine NPD – Frau das Plenum, umlagert von Fotografen und Reportern. Ob er denn damit rechnen müsse, als Ausländer aus Deutschland geworfen zu werden, wenn die NPD so könnte wie sie wollte, will ein dunkelhäutiger Reporter von NPD – Fraktionschef Holger Apfel wissen. Aber der schweigt – so wie alle NPD – Abgeordneten – auf Reporterfragen an diesem Morgen. Cornelius Weiss, SPD – Abgeordneter, eröffnet als Alterspräsident den Landtag. Der 71 jährige hält eine kluge Rede, in der er sich darüber ärgert, dass „von der Geschichte längst widerlegte obskure Heilslehren politischer Scharlatane“ zunehmend Anhänger finden. Die Rede endet mit dem Verlesen der Namen von sächsischen Abgeordneten, die in der Nazizeit ermordet wurden, und wird ergänzt mit Namen der Studenten, die in der sowjetisch besetzten Zone nach 1945 starben. Alle Parteien applaudieren bis auf die zwölf NPD – Politiker, die schweigend da hocken, wobei einige erst aufhören zu grinsen, als sie merken, dass Kameras auf sie gerichtet sind. Die demokratischen Parteien hatten in den Tagen zuvor erklärt, wie sie mit den Rechtsextremen umgehen wollten. Einfach wird es nicht. Mit einer Mischung aus Ignorieren und heftigem Widerspruch wollen CDU, SPD, PDS, Grüne und Liberale vorgehen. Aufstehen und den Raum verlassen, wenn die NPD redet will niemand. Wie auch, wenn sie demnächst Ausschussvorsitzende stellen darf. Die Rechtsextremen kündigten an, Sachpolitik betreiben zu wollen. Sie müssen das selbst gemalte Bild von der eigenen Rechtschaffenheit reparieren, nachdem Sachsens Zeitungen in den vergangenen Wochen schon voll waren mit Berichten von dem insolventen Landesparteichef, der als Ladendieb erwischt worden war, und dem Abgeordneten, der Mitgliedsbeiträge abgezweigt hatte.
Süddeutsche Zeitung, 20.10.04, Nr. 244
Die auffallend Unauffälligen
Bei ihrem ersten Auftritt im sächsischen Landtag geben sich die neuen Abgeordneten der NPD ganz brav und bieder – bis auf ein paar Ausfälle.
Einige der Fotografen wollen einfach nicht den Saal verlassen. Längst schon bitten die Saaldiener des sächsischen Landtags die Männer mit ihren Kameras, doch nun den Anweisungen Folge zu leisten, damit die Sitzung endlich beginnen kann.
Aber die Reporter verharren entschlossen vor zwölf Sitzen ganz rechts im Landtag, ihre Objektive starr auf die Gesichter von zwölf Abgeordneten gerichtet. Als ob da noch etwas kommen müsste. Eine markante Geste, vielleicht ein martialischer Gesichtsausdruck, der etwas Verräterisches hätte. Irgendeine Auffälligkeit.
Aber nichts davon bekommen sie zu sehen. Vielmehr bemühen sich die zwölf neuen Parlamentarier der rechtsextremen NPD, die ersten in einem deutschen Landtag seit 1972, zu Beginn dieser ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode zunächst geradezu auffallend um Unauffälligkeit.
Die netten Männer von der NPD
Mit 9,2 Prozent der Stimmen haben sie bei der Wahl am 19. September den Sprung geschafft. Nun setzen sie viel daran, wie biedere Bürger zu erscheinen. Sogar ihre derben Leibwächter scheinen sich um Höflichkeit zu bemühen. Der junge Fraktionsvorsitzende Holger Apfel trägt einen modernen, hellen Anzug und bietet den Kameras ein freundliches Gesicht.
Nichts erinnert in diesen Minuten an die düstere Atmosphäre am Wahlabend, als Trupps der NPD die Presse-Fotografen wegschubsten und die rechtsextremen Politiker rabiat abschirmten. Seither blickten die Zuständigen im Dresdner Landtag bang der ersten Parlamentssitzung entgegen. Doch das befürchtete Spektakel bleibt aus.
"Kein Sex mit Nazis"
Draußen vor dem Gebäude protestieren rund 250 Menschen mit Transparenten ("Kein Sex mit Nazis"), Reden und Musikdarbietungen afrikanischer Tänzer gegen die NPD. Drinnen herrscht in den Reihen der demokratischen Parteien eine Ruhe wie selten.
Auch jene Politiker, die sonst kaum ihr Temperament zügeln können, sind sehr ernst. Als gälte es, nach dem Schock der Wahl besonders unaufgeregt die Würde des Parlaments zu wahren.
Der Alterspräsident Cornelius Weiss von der SPD fasst diese Stimmung in einer nachdenklichen Einführungsrede zusammen, in der er den hohen Wert der Demokratie in Krisenzeiten betont. Der frühere Rektor der Leipziger Universität nennt die Namen sächsischer Landtagsabgeordneter, die zur Zeit des Hitler-Regimes von den Nationalsozialisten ermordet wurden.
Er erinnert auch an Menschen, die später in der DDR für die Freiheit kämpften und dafür mit dem Leben bezahlten. Seine Rede endet der 71-Jährige mit einer Kampfansage an "alle Feinde der Demokratie". Sie sollten sich nicht täuschen:
"Die Demokratie ist die einzige Gesellschaftsform, die dem Menschen Würde gibt. Sie bleibt daher stark und wird notfalls verteidigt werden." Als er dafür von allen außer den NPD-Deputierten starken Beifall erhält, blitzt für einen Moment auf, was gern als Einigkeit aller Demokraten gepriesen wird.
All das beantworten die Rechtsextremen mit Reglosigkeit – im offenkundig festen Willen, vor der großen Öffentlichkeit mit Blick auf die Bundestagswahl 2006 ein seriöses Bild abzugeben. Ausdauernd lächelt auf der Tribüne auch ihr Bundesparteichef Udo Voigt.
"Ein Schatten von Adolf Hitler"
Als der Fraktionsvorsitzende Apfel dann im Streit um die neue Geschäftsordnung zum ersten Mal das Wort ergreift, beginnt er ausgemacht höflich. Verbeugt sich zum Herrn Landtagspräsidenten, einem Christdemokraten, spricht galant die "Damen und Herren" im Saal an, bevor er in einem atemlosen und am Ende ein wenig bellenden Stakkato zu reden beginnt.
Es scheint, als spräche er so schnell, weil ihm der intellektuell durchaus anspruchsvolle Text arg fremd sei. Auch entspricht, das was er sagt, anfangs nicht dem, was man von Rechtsextremen kennt. Apfel redet von demokratischem Verfahren und den Rechten kleiner Parteien.
Eine fast grotesk erscheinende Lobpreisung der parlamentarischen Spielregeln, die in der Aussage gipfelt, dass er und seine Leute am Ende noch die "letzte demokratische Instanz hier im Hause" sein würden, während die anderen sich Pfründen zuschacherten.
Um so mehr fallen die kurzen Bemerkungen auf, mit denen der Neo-Politiker mitten hinein in seine Camouflage nationalistische Duftmarken setzt.
Als er die anderen Parteien im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten als "Systemparteien" bezeichnet, verpasst es der Landtagspräsident einzugreifen.
Wenig später horcht nicht nur das Plenum auf, als Apfel für die NPD eine konstruktive Zusammenarbeit anbietet, die, so betont er ausdrücklich, den Deutschen im Land helfen solle.
Die anderen Abgeordneten suchen nach der richtigen Art, darauf zu reagieren. Ein Grüner sitzt die ganze Zeit abgewandt, mit dem Rücken zum Rednerpult. Auch einige PDS-Politiker haben sich auf ihren Bänken vom Redner abgekehrt.
Viele Parlamentarier haben vorher beschlossen, dass die Rechten ihnen keinen Zwischenruf wert sein sollen. Einige aber mögen irgendwann nicht mehr an sich halten. "Totengräber", ruft der Sozialdemokrat Karl Nolle erregt.
Auf der Landtagstribüne sind die Gäste nach dem anfangs so moderaten Auftakt nun doch erschrocken. Die eigens angereiste Grünen Bundesvorsitzende Claudia Roth hat schon während der Rede unruhig vor sich hin geschimpft, warum denn bloß niemand eingreife.
Und kopfschüttelnd verlässt der sächsische Landesrabbiner Salomon Almekias-Siegl die Tribüne. Ein richtig demagogischer Auftritt sei das gewesen, erregt er sich. Der Rabbiner weiß, dass diese Rede von anderen vermutlich gar nicht als spektakulär düster empfunden wird. Aber bei ihm haben der Inhalt und der Ton Beklemmung ausgelöst: "Kein Atem, keine Punkte, keine Kommas – wie ein Schatten von Adolf Hitler."
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