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spacer.gif   Unliebsame Übereinstimmungen – die NPD und die gesellschaftliche Mitte
veröffentlicht am Donnerstag, 28. September 2006, 07:23 Uhr
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NiPrint 2006 Gelegentlich treten diskursive Übergänge zwischen bürgerlicher Politik und den Neonazis auf. Die fraglichen Themen sind ebenso ideologisch zentral für die NPD wie die vermeintlichen "Protestwähler_innen" die neonazistische NPD-Rhetorik durchaus verstehen und grundsätzlich unterstützen. Solange trotzdem bürgerlich gewählt wird, bleibt das Problem verborgen, ja in manchen konservativen Diskursen hört es auf Problem zu sein.

Zum Text.

"In einer Zeit des allgemeinen Werteverfalls will sich meine Fraktion [...] dafür stark machen, dass Text, Melodie und Entwicklungsgeschichte des Liedes der Deutschen in Zukunft zum Lehrstoff in allen [...] Schulen Sachsens gehören. [...] Wer wie Sie ein gebrochenes Verhältnis zu eigenen Symbolen hat [...] der hat auch ein gebrochenes Verhältnis zur Sache selbst, die durch das Symbol dargestellt wird." (Apfel, NPD) [1]

"Man mag sie als die deutschen Tugenden bezeichnen: Fleiß, Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit. [...] Beliebigkeit, Materialismus, Ellenbogenmentalität oder Gleichgültigkeit sind nach unseren Überzeugungen für die Schwächung des Gemeinschaftsgefühls verantwortlich. Wir setzen dagegen auf die Renaissance dieser deutschen Tugenden." (Junge Union) [2]

I

Es kommt vor, dass sich bürgerliche politische statements inhaltlich nicht von jenen der NPD unterscheiden. Dies sind regelmäßig Momente großer Peinlichkeit, aber auch solche großer Verbitterung - auch der NPD gegenüber. Denn hat sie durch diesen Populismus nicht den anderen die Protestwähler_innen streitig gemacht? Und betätigt sie sich damit nicht allgemein als Trittbrettfahrerin? [3] Weder, noch. Die fraglichen Themen sind ebenso ideologisch zentral für die NPD wie die vermeintlichen "Protestwähler_innen"; die neonazistische NPD-Rhetorik durchaus verstehen und grundsätzlich unterstützen. [4] Solange trotzdem bürgerlich gewählt wird, bleibt das Problem verborgen, ja in manchen konservativen Diskursen hört es auf, Problem zu sein. [5] Das allerdings stellt selbst ein Problem dar - die folgenden Abschnitte versuchen, einige Erklärungsansätze dafür anzubieten. Im Mittelpunkt steht dabei weniger die NPD, die politischen Institutionen oder bürgerliche Parteien sondern vielmehr die weniger politische Masse der Gesellschaft, in der die NPD ihre Basis findet, in der jene angeblichen Protestwähler_innen durch die NPD gewonnen oder wieder verloren werden.

II

Extremismus- und Totalitarismustheorien stellen ein einfaches heuristisches Instrument zur Interpretation der Realität, auch gerade der Realität militanter Nazis im öffentlichen Raum und professionell- gemäßigter in Parlamenten, dar. Allerdings sind diese Theorien wie auch die Kritik an ihnen auf akademische und explizit politische Kreise beschränkt. Zu groß ist das Misstrauen gegenüber Politiker_innen, zu gering das Interesse an den juristischen und rhetorischen Feinheiten politischer Arbeit, zu unzuverlässig die Vermittlung politischer Inhalte über die durch wirklich breite Schichten wahrgenommene Lokal- und Boulevardpresse. Der politisch desinteressierte mainstream lässt sich von Alltagstheorien leiten. Diese entstehen aus beliebiger Interaktion am Küchenoder Stammtisch, speisen sich aus Gefühlen, persönlichen Erfahrungen, Mythen und Gerüchten sowie den Titelthemen von Werbe-, Fernseh-, Frauen- und Männerzeitschriften und bestimmen die hier konstituierte soziale Realität. Beeinflusst sind die von fortlebenden Bildern, populistischen Interpretationen und weitererzählten Mythen aus vergangenen politischen Szenarien der "Wendezeit", der DDR oder des Nationalsozialismus. Argwöhnisch gegenüber Neuem und Fremdem und grundsätzlicher Billigung aller jeweils verständlichen und tolerierbaren Meinungen, erkennen sie keine politischen Extreme, kennen sie keine Abqualifizierung politischer Theorien wegen Unmenschlichkeit. Vor allem aber kein demokratisches Bewusstsein, was Werte und Image gegen Nazis zu verteidigen suchte. Die grundsätzliche Billigung anderer Ansichten gilt dabei, solang die Normen der jeweiligen sozialen Realität erfüllt werden, die Bereitschaft, sich zu integrieren, mit zu neuen Forderungen zu verstummen, sich unsichtbar zu machen, erkennbar ist. Und so kommt es dann auch, dass neonazistische Gewalttaten stets von Außenstehenden verübt worden waren, niemals von den einheimischen "Jungs" oder den Fans des "eigenen" Fußballclubs.

III

Darüber hinaus wirken in Alltagstheorien items fort, die politisch - zu recht - in keiner Weise mehr sagbar sind. Es handelt sich um tiefgehende, irrationale Feindseligkeit gegen "Fremde" und von der Norm abweichende oder gegen spezielle Gruppen, denen gegenüber eine latente Benachteiligung empfunden wird. Sind politische Gruppen bereit, mit politischen Standards zu brechen und offen diskriminierende statements wieder in die Diskurse zu werfen, so kann mitunter eine mehr oder weniger beständige, breite Basis für Wahlen oder gar für Aktivismus mobilisiert werden. Die Palette reicht dabei von offenen rassistischen, antisemitischen etc. Positionierungen zum Finden substitutiver Diskurse, die unterm Deckmantel einer legitimen demokratischen Meinungsäußerung dieselben radikalen neonazistischen Ziele und Argumentationen in Stellung bringen; die sagen, was, so wird empfunden, "schon lange gesagt werden musste". [6] Und schließlich gibt es auf der rechten politischen Flanke zahlreiche Debatten, die nicht nur ins Neonazispektrum hinein offen sind, sondern die neonazistische Positionierungen geradezu einladen. [7] Zentral ist dabei wiederum die Angst vor "der Chaot_in". Es geht einerseits um Grafittis, Drogen und Linke - an anderer Stelle stellen sich auch Neonazis (wie die politische Konservative) für den Schutz der Familie und - nur in und mit ihr - den Schutz westlich-europäischer Werte, zur Verfügung. Gegen nicht heterosexuelle Lebenskonzepte und (besonders islamischen) Immigrant_innen, pauschal unterstellte andere Familienkonzeptionen.

IV

Schiemann, CDU: "Wenn es bei etwa 500 Teilnehmern an beiden Demonstrationen gleich zu 14 Ermittlungsverfahren wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen kommt," Gansel, NPD: "Keine Gewalttat!" Schiemann: "dann zeigt dies nur allzu deutlich, wes Geistes Kind diese Herrschaften sind und welche politischen Ziele sie verfolgen." Apfel, NPD: "Sie vergleichen Delikte mit Gewalttaten!"[8]
Am Beispiel von "Gewalt": Der allgemeine Begriff von Gewalt ist auf nicht legitimierte Gewalt fokussiert. Sie wird nicht von Staatsbediensteten ausgeübt, nicht auf eigenem Grund und Boden und auch nicht von bezahlten Securityfirmen. Die Protagonist_innen bleiben gesichtslos. Welche selbstverständlichen Werte teilen sie? Es bleibt unklar. Gehen sie einer Arbeit nach, haben sie eine "normale" Familie. Es wird angezweifelt. Ihre Persönlichkeit reduziert sich auf die der konturenlosen, seelenlosen, bewusstlosen, und deshalb normenlosen Gewalttäter_in; eine Persönlichkeit, rationale Beweggründe, richtige Überlegungen werden bei ihnen nicht vermutet. Der neonazistische Gewaltbegriff setzt hier an: Die Gewalttätigen werden als Chaot_innen bezeichnet - es sind Sprayer_innen, Konsument_innen illegaler Drogen, Ausländer_innen. Gelegentlich trift es auch Homosexuelle und andere "nicht-Normale". Weniger, weil diese tatsächlich Gewalt anwendeten - vielmehr überschreiten sie andere Normen, was wiederum als Indiz gelesen wird, dass ihnen das Gewalttabu ebenfalls nichts gilt. Entsprechend unvorteilhaft fällt die Bewertung von political correctness und liberalen Einstellungen, der Toleranz gegenüber anderen Lebenskonzeptionen, aus. Genauso wenig, wie sich dieser Zusammenhang auf die Neonazi-Subkultur begrenzen lässt, kann er isoliert im lokalen - etwa sächsischen - Kontext betrachtet werden. Den Thesen voran schreiten beispielsweise die Äußerungen des Papstes, Joseph Ratzingers, des Deutschen, der schon eher durch Zusammenarbeit mit extrem Rechten Kreisen auf- fiel [9], und die der ihnen Folgenden christlich-konservativen Diskurse. Dass auch Neonazis und andere - je nach persönlicher Situation und Haltung zur "Gewalt" nicht-legitime Gewalt anwenden, will nicht in die Positionierungen passen. Es wird gern negiert, solange es sich bei den fraglichen Gewalttäter_innen nicht um passende Feindbilder handelt. Für Neonazis gibt es meist keine rechtsextreme Gewalt [10], für die bürgerliche Mitte waren in der Regel die anderen die Angreifer_innen - oder wenigstens waren sie schuld.

V

Es soll hier nicht behauptet werden, dass konservative Gruppen und Parteien der NPD aus Ungeschicklichkeit oder gar willentlich Vorschub leisteten: Sie sind sich der Problematik im Allgemeinen bewusst, stets um Abgrenzung bemüht. Ferner sind sie nicht homogen. Jedoch existieren diskursive Übergänge bis hin zu den Domänen neonazistischer Kreise - Themen, die zu ihrem ideologischen Kern gehören, auf die die NPD nicht aus rein populistischen Gründen zurückgreift [11]. Und schließlich ist der Umgang mit Alltagstheorien und diskursiven Strukturen des unpolitischen mainstreams im besten Falle als ratlos und unbeholfen zu charakterisieren.

Fußnoten:

[1] Landtagssitzung 09.11.2005

[2] "Wir sind stolz auf unser Land. Und du?" 15.10.2005

[3] So die Antwort des CDU-Abgeordneten Hähle auf die eingangs zitierte Apfel-Rede.

[4] Vgl. bspw. Michel Friedmann, Welt, 12.11.2004 und Armin Pfahl-Traughber, Vortrag auf der Konferenz "Neue Entwicklung des Rechtsextremismus" der Friedrich- Ebert-Stiftung, 12/2005.

[5] Vgl. die Empfehlung des Politikprofessors Patzelt, "[Die] CDU kann und muss auch nationale Rhetorik bedienen.", Sächsische Zeitung, 16.06.04.

[6] Vgl. die fortlaufend erscheinenden Publikationen zur Langzeitstudie "Deutsche Zustände" des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt-und Gewaltforschung.

[7] Vgl. die Patriotismusdebatte in der sächsischen CDU/JU. Herausstechende Formulierungen etwa im eingangs zitierten JU-Papier.

[8] Landtagsdebatte 11.05.06

[9] Ratzinger verfasste einen Beitrag für das 1998 vom neonazistischen Aula Verlag herausgegebene "1848- Erbe und Auftrag", neben ihm war eine Anzahl - v.a. österreichischer - Neonazis an dem Band beteiligt, u.a. jedoch auch der derzeitige NPD-Fraktionsmitarbeiter Karl Richter.

[10] Oder aber als natürliche Antwort auf "Chaot_innen"; vgl. die Argumentation der NPD in der bereits erwähnten Landtagsdebatte am 11.05.06.

[11] Wie etwa auf Porschs mutmaßliche Stasimitgliedschaft oder die Affäre um die Sachsen LB.


 
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