Die neonazistische NPD ist bei den sächsischen Kreistagswahlen am 08.06.2008 in alle Kreistage mit eigenen KandidatInnen eingezogen. In zahlreichen Kreistagen ist sie zukünftig in Fraktionsstärke vertreten. Unterdessen ist bei der CDU, die die Wahl in allen Kreisen mit großer Mehrheit gewann, der Wille, mit dem Naziproblem umzugehen, nur sehr eingeschränkt vorhanden.
Ihre selbstgesteckte Zielstellung haben die Neonazis bei den Kreistagswahlen 2008 verfehlt. Die NPD hatte sich vorgenommen, in alle sächsischen Kreistage in Fraktionsstärke einzuziehen. Trotzdem konnte die Neonazi-Partei ihr Ergebnis von 2004 vervierfachen. Mehr als 160.000 Sachsen haben der NPD ihre Stimme gegeben. Erstmals in der Geschichte der NPD schaffen es die Neonazis, in alle Kreisparlamemente eines Bundeslandes einzuziehen. Insgesamt 44 Neonazis werden in Zukunft als Kreistagsabgeordnete agieren.
Der große Erfolg der NPD ist für alle, die sich ernsthaft mit den Neonazis auseinander gesetzt haben, keine Überraschung. Ohne diesen Wahlerfolg hätte die NPD vor einem Scherbenhaufen gestanden. Die Veruntreuung von Parteivermögen durch einen engen Vertrauten des Parteivorsitzenden Voigt, der Dauerstreit mit den „Autonomen Nationalisten“ und der Druck der Parteizeitung in Polen und Litauen haben den enormen Aufschwung, welche die NPD mit ihrem Landtagseinzug im Jahr 2004 erlebte, deutlich gebremst. Diese Krisen haben die berechtigte Hoffnung genährt, die NPD könne sich schrittweise wieder aus den Parlamenten verabschieden. Doch gerade in ihren Hochburgen in der Sächsischen Schweiz stabilisierten sich die Werte der NPD bei über 10 Prozent der Stimmen. Die stärkere Präsenz der NPD, vor allem außerhalb der Parlamente, hat zu einer deutlichen Verwurzelung beigetragen.
Die Reaktionen der politischen Öffentlichkeit in Sachsen sind, wie schon in der Vergangenheit, eine Mischung aus Herunterspielen und großen Worten.
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich ruft dazu auf, sich mit den Parolen der NPD auseinander zu setzen, nachdem er noch im Wahlkampf forderte, die CDU müsse den rechten Rand integrieren. Im gleichen Atemzug stellt er fest, dass der Stimmanteil der NPD unter den 9,2% der Landtagswahlen 2004 liegt, um dabei bewusst zu übersehen, dass es sich um völlig verschiedene Wahlebenen handelt. CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer ist nach der Vervierfachung des WählerInnenzuspruchs für die Neonazis auf Kreisebene zuversichtlich, dass seine Partei mit „maßgeschneiderten Lösungen“ dafür sorgen wird, die NPD am Einzug in den nächsten Landtag zu hindern. Die überregionale Öffentlichkeit soll wohl damit besänftigt werden, dass die Konservativen zur nächsten Landtagswahl eine antifaschistische Wunderwaffe aus den Schubladen kramen. Kretschmers Ansagen sind allerdings kaum mehr als wohlklingende Worte. Die sächsische CDU ist die letzte aller demokratischen Parteien in Sachsen, die sich der NPD ernsthaft in den Weg stellen würde. Das hat sie in den letzten Jahren, insbesondere auf Kommunalebene, wiederholt unter Beweis gestellt. So ist es in zahlreichen Gemeinderäten üblich, dass die CDU-Abgeordneten den Neonazis die Hand schütteln, während andere demokratische KollegInnen das aus gutem Grund nicht tun. In den Reihen der CDU nennt man das Anstand. Der wiedergewählte CDU-Landrat Gerhard Gey traf sich 2007 mit VertreterInnen der NPD, um über Jugendarbeit zu diskutieren und wehrte Kritik daran ab, da er „tolerant gegenüber allen“ sein wolle. Scheinbar sogar gegenüber denen, welche die Toleranz dazu nutzen möchten, um diese selbst abzuschaffen. Der CDU-Kreisverband Sächsische Schweiz lud zum Tag der deutschen Einheit 2006 mit einem Einladungsschreiben, auf dem alle 3 Strophen des „Deutschlandliedes“ abgedruckt waren. Keine andere politische Partei hat in den letzten Jahren so konsequent an einer gesellschaftlichen Etablierung und Normalisierung der neonazistischen NPD gearbeitet, wie die sächsische CDU.
Wenn die Stichwortgeber der sächsischen CDU ans Mikrophon treten, dann haben sie 4 Jahre nach dem Einzug der NPD in den Landtag noch immer nicht gelernt, die Neonazis auch als solche zu bezeichnen. Gebetsmühlenartig wird davor gewarnt den „Extremismus von allen Seiten zu beachten.“ Nichts wird unversucht gelassen, um den NPD-Erfolg herunterzuspielen. Ein besonderer Wegbereiter der NPD ist dabei der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse, welcher die Stimmenzuwächse der NPD postwendend relativierte und darauf hinwies, dass es viel interessanter wäre, dass die CDU sich stabilisierte und die SPD weiterhin Schwierigkeiten habe. In einem Interview mit dem Tagesspiegel vertritt er die Auffassung, alles weise darauf hin, dass die NPD bei den nächsten Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern werde. „Die haben nur noch 1000 Mitglieder in ganz Sachsen.“ stellt der Politikwissenschaftler lapidar fest und verschweigt dabei, dass die NPD in Sachsen die deutschlandweit höchste Mitgliederdichte je 1.000 EinwohnerInnen aufweist. Jesse ist der Meinung, man müsse den WählerInnen die Unfähigkeit der NPD vor Augen führen. Dass die Neonazis zu den Parlamenten jedoch ein rein instrumentelles Verhältnis pflegen, welches klassische politische Erfolge überflüssig macht, um die eigenen Ziele zu erreichen, scheint dem Extremismustheoretiker nicht einzuleuchten. Vielen sächsischen WählerInnen kommt es nicht darauf an, dass die NPD realistische Lösungen anbietet, sondern dass ihre rassistischen und rechtspopulistischen Einstellungspotenziale bedient werden.
Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt fordert seit 4 Jahren die CDU vehement dazu auf, den rechten Rand durch die Besetzung von patriotischen Themen einzubinden. Nach den Kreistagswahlen wiederholte er seine diesbezüglichen Forderungen. Dass die CDU mit einer solchen Rechtsverschiebung der politischen Mitte der Normalisierung der nationalistischen und fremdenfeindlichen NPD-Themen Vorschub leistet, ist scheinbar einkalkulierter Kollateralschaden.
Vor allem die Wählerstimmen für die NPD-LandratskandidatInnen weisen darauf hin, dass es den WählerInnen nicht darauf ankommt, ob die Neonazis Lösungen für kommunalpolitische Probleme anbieten können. Der Verehrer des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess, Olaf Rose, welcher in der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge antrat, erhielt, ebenso wie der Berliner Reisekader Andreas Storr im neuen Landkreis Görlitz, mehr als 7 % der Stimmen. Beide haben keinerlei kommunalpolitische Erfahrungen oder ernsthafte kommunale Verankerung in den Landkreisen, in welchen sie antraten. Storr hat den Sprung in die Stichwahl am 22.06.08 geschafft. Auch alle anderen NPD-Landratskandidaten erreichten mehr als 5 %.
Die demokratischen Parteien reagierten, mit Ausnahme der CDU, überwiegend mit Bestürzung. Der DGB-Landesvorsitzende Lucassen stellte fest, dass diejenigen, welche die NPD-Erfolge als ein vorübergehendes Phänomen betrachteten, sich auf einem Irrweg befanden.
NPD-Kreistagsfraktionen wird es zukünftig in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Meißen, Görlitz, Bautzen und im Erzgebirgskreis geben. In allen anderen Kreisen ist die NPD mit mindestens 3 Abgeordneten vertreten. Rechte Wählervereinigungen oder Parteien, wie Henry Nitzsches "Arbeit, Familie, Vaterland" oder die Sächsische Volkspartei (SVP), die in Konkurrenz zur NPD angetreten waren, blieben hinter den Erfolgen der NPD zurück. Nitzsches Gruppierung zog jedoch erwartungsgemäß in den Bautzener Kreistag ein; die in Sachsen seit längerem etablierte DSU wird weiterhin in 5 Kreistagen sitzen. Das politische Potenzial jenseits des rechten Randes der CDU ist damit in ganz Sachsen weiter gewachsen; es handelt sich um ein wachsendes extrem rechtes Spektrum, aus dem die NPD die Stimmenzuwächse bezieht, und das offenbar in den kommenden Wahlen auch durch die CDU bedient wird. Ohne eine energische und breite gesamtgesellschaftliche Initiative gegen die Neonazis ist dies eine unerwartet aussichtsreiche Basis für deren erneuten Einzug in den sächsischen Landtag 2009.
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