Am 19. September 2004 standen lachende Neonazis auf der Bühne im sächsischen Landtag und schwenkten gemeinsam eine NPD-Fahne. 190 909 WählerInnen (9,2 %) haben der neonazistischen Partei ihre Stimme gegeben. Mit plumpen Parolen wie "Grenzen dicht!" oder "Schnauze voll!" gelang es der Neonazi-Partei erstmals seit 1968 wieder in ein Landesparlament einzuziehen. Heute fahren die 12 Abgeordneten der NPD in Mercedes-Limousinen durch das Land und versuchen seit einem Jahr auf höchster Ebene in der sächsischen Landespolitik mitzureden. In geheimen Personalabstimmungen erhalten sie kontinuierlich mehr Stimmen, als es NPD-Abgeordnete gibt.
Doch was haben die Neonazis in diesem Jahr erreicht? Wie haben sie im Landtag mitgewirkt? Und was kann man von ihnen erwarten?
Die ProtagonistInnen der Fraktion
Der bekannteste NPD-Abgeordnete ist der Fraktionsvorsitzende Holger Apfel. Er weist eine Bilderbuchkarriere als Funktionär und selbsternannter "Parteisoldat" auf und hat verschiedenste Ämter in der Neonazi-Partei durchlaufen. Auf dem Landeskongress der NPD-Jugendorganisation JN ließ Apfel 1998 verlauten: "Als Vorbilder für die JN zählen einzig und allein die Wehrmacht und die Soldaten der Waffen-SS!"
Holger Apfel tritt immer genau dann an das Rednerpult, wenn die Thematik dem ordinären NPD-Populismus dienlich sein könnte, also bevorzugt bei Fragen zu Hartz IV, Hasstiraden gegen MigrantInnen oder ein vermeintliches EU-Diktat. Seine Anfragen drehen sich um Themen wie den "Vollmer-Erlass", den Vergleich der NPD mit Mafia-Strukturen in einem Zeitungsartikel oder Verfahren gegen Linke wegen Landesfriedensbruch. Er bevorzugt in seinen Reden und Anfragen plakative, platte und populistische Ausdrucksweisen, ohne wirklich auf eine sachliche Argumentationslinie aufzubauen. Seine Auftritte dienen vor allem der Selbstdarstellung und dem Herausposaunen von NPD-Worthülsen. Dies wird auch deutlich, wenn man beispielsweise den Nachdruck seiner politischen Arbeit im Landtag analysiert. Aufgrund der unpräzisen Formulierungen seiner Anfragen erhält er meist keine befriedigenden Antworten. Trotzdem hat Holger Apfel bislang in keinem Fall noch einmal genauer nachgefragt, woraus man durchaus einen gewissen Grad von mangelndem Interesse am Inhalt dieser Anfragen schließen kann.
Keiner der NPD-Abgeordneten ist so fest in den örtlichen Strukturen seiner Herkunftsregion verwurzelt, wie der Fahrschullehrer Uwe Leichsenring aus der Sächsischen Schweiz. Er kann auf eine breite Basis von StammwählerInnen bauen und verfügt darüber hinaus über hervorragende Kontakte zum Personenumfeld der verbotenen, gewalttätigen Neonazikameradschaft "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS). Uwe Leichsenring bedankte sich nach der letzten Bundestagswahl schriftlich bei "den Kameraden der SSS und der SSS/AO für die hervorragende Absicherung unserer Veranstaltungen und Infotische." Seine erste Anfrage im Landtag beschäftigte sich dann auch mit der Rechtskraft des Verbotes der militanten SSS. Außerdem ist er in der Fraktion dafür verantwortlich die hauptsächlichen Anfragen und Reden zum Thema Linksextremismus zu stellen und dabei die NPD als Hüter von Gesetz und Ordnung in Szene zu setzen. Leichsenring ist derjenige NPD-Abgeordnete welcher am besten mit den zur Verfügung stehenden parlamentarischen Mitteln umgehen kann und diese durch einen übermäßigen Gebrauch vollkommen ausschöpft. Der Abgeordnete Jürgen W. Gansel gefällt sich in der Rolle als Theoretiker der Fraktion im "Kampf gegen die Schuldknechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrheit" für welche er auch schon mal die geschichtlichen Tatsachen verdreht.
Das "Sorgenkind" der NPD-Fraktion ist der 65jährige Klaus Jürgen Menzel, der von seinen Fraktionskollegen sogar mit physischer Gewalt davon abgehalten wird, an das Rednerpult des Landtages zu treten, so geschehen z.B. in der Sitzung am 22.06.05. Da er selbst in der eigenen Fraktion und Partei scheinbar nicht mehr ernst genommen wird, verlegt der Hinterbänkler Menzel seinen Schwerpunkt wieder auf eine engere Zusammenarbeit mit militanten Neonazis der so genannten "Freien Kräfte Sachsen".
Mitreden und Schwerpunkte setzen
Themen, die über die NPD-Schwerpunkte Ausländerhass, das Feindbild Linksextremismus, und von Hartz IV Benachteiligten hinausgehen, betreffen meist das lokale WählerInnenklientel der Abgeordneten. Sie betätigen sich als "SpezialistInnen" in den Bereichen ihrer beruflichen oder biographischen Kenntnisse mit Hilfe von Anfragen und Anträgen im Landtag. Johannes Müller widmet sich der Gesundheit, Gitta Schüßler der Familie und Schule, Mirko Schmidt agitiert bis zum Erbrechen gegen MigrantInnen, Alexander Delle widmet sich der Ökonomie, Uwe Leichsenring ist das Sprachrohr der Sächsischen Schweiz, vor allem deren Skinheads, wenn es um MigrantInnen und linke Subkultur geht. Jürgen Gansel hebt die "Dresdner Schule" aus der Taufe, die selbstüberschätzend als Gegenstück zur theoriebildenden linken "Frankfurter Schule" propagiert wird. Und andere werden niemals mit ihrem Verständnis des Delegierten-Prinzips überzeugen: Winfried Petzold und Klaus-Jürgen Menzel geben einen authentischen Einblick in die Stamm- und Küchentischatmosphäre. Die Abgeordneten Klaus Baier, Mirko Schmidt und Klaus-Jürgen Menzel fallen darüber hinaus vor allem dadurch auf, dass sie bisher noch keine einzige Anfrage zu Stande gebracht haben.
Der Landtag als demokratische Institution wird von der NPD abgelehnt, meist mit der dumpfen Drohung, es wäre nichts mehr wie bisher, wenn man erst einmal die Mehrheit stelle.
Der MitarbeiterInnen-Stab: von überall her zusammen gekarrt
Damit die Landtagsabgeordneten der NPD sich in ihrem parlamentarischen Agieren nicht blamieren, steht ihnen ein ganzer Stab von "neu - rechten" Intellektuellen als MitarbeiterInnen im sächsischen Landtag zur Seite. Der Rechtsanwalt Peter Marx, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, hat schon 1990 die NPD in den neuen Bundesländern entscheidend mit aufgebaut und gilt als der rechte Vordenker der NPD. "Heute Sachsen, morgen Deutschland." posaunte Urgestein der rechtsextremen Szene und studierter Historiker Karl Richter in der Deutschen Stimme und lobte die NPD als die Partei, "die von allen patriotischen Parteien am längsten und konsequentesten den politischen Kampf gegen das System von 1949 führt". Nur wenige Monate vor der Landtagswahl plädierte Richter für eine zeitgemäße "Rassenkunde" gegen "linken Gleichheitswahn": "Noch zieren sich alle, das böse Wort `Rasse? in den Mund zu nehmen." Per Lennart Aae ist studierter Informatiker, Bundesvorstandsmitglied sowie Leiter des Wissenschaftsarbeitskreises der NPD und vertritt die Meinung: "Der Untergang des Systems komme auf jeden Fall." Franz Schönhuber ist die Identifikationsfigur der rechtsextremen Szene. Als Freiwilliger in der Waffen - SS wurde er in die "Leibstandarte Adolf Hitler" aufgenommen und war in verschiedenen SS - Divisionen eingesetzt. Er gestaltete seit den 80er Jahren DVU, REP und die Vertriebenenverbände grundlegend mit. Der Diplom-Ökonom Arne Schimmer, welcher für eine "raumorientierte Volkswirtschaft" eintritt, sowie der ehemalige Waldorflehrer und neu-rechte Publizist Andreas Molau komplettieren die Bande. Aber auch Personen mit guten Kontakten zur gewaltbereiten, militanten Neonaziszene verdienen ordentliche Gehälter im Landtag. Der persönliche Mitarbeiter von Klaus-Jürgen Menzel ist der Naziterrorist Peter Naumann. Verurteilt u.a. für einen Sprengstoffanschlag auf Fernsehmasten, womit 1978 die Ausstrahlung der Serie "Holocaust" verhindert werden sollte, wollte er auch den Hitlerstellvertreter Rudolf Hess aus dem Berliner Militärgefängnis befreien. Rohrbombenfunde und weitere Sprengstoffanschläge bescheinigen ihm Kontinuität. Marcus Müller ist bereits seit Beginn der neunziger Jahre ein aktiver Neonazi und darf als inzwischen langjähriger Funktionär der NPD zukünftig im sächsischen Landtag in der Fraktion mitarbeiten. Müller verfügt über hervorragende Kontakte in die militante Neonaziszene im Raum Leipzig/ Wurzen und war Mitglied der inzwischen verbotenen Nationalistischen Front (NF). Landtagsmitarbeiter Sascha Wagner leitete in den 90er Jahren u.a. den Ordnerdienst der NPD bei Aufmärschen und hat durch seine lange ?Karriere? im militanten Neonazi-Spektrum viele Kontakte, auch über die deutsche Naziszene hinaus.
Das Plenum: die Bühne der NPD
Sehr eingeschränkt diskursfähig wirft die NPD-Fraktion hauptsächlich mit Kleinen und Grossen Anfragen um sich, nutzt die Möglichkeit, eine aktuelle Debatte anzuzetteln vollständig aus, wenn dies nicht genügt, bedient sie sich der eigentlich außerordentlich Dringlichen Anträge. In diesem Punkt kann man eine Kontinuität in allen Landtagssitzungen beobachten. Seit der Konstitution des sächsischen Landtages fand keine Sitzungswoche statt, in welcher nicht mindestens ein von der NPD initiierter Tagesordnungspunkt diskutiert werden musste. Nach antifaschistischen Demonstrationen fordern NPD-Abgeordnete postwendend in Dringlichkeitsanträgen einen Untersuchungsausschuss wegen angeblicher Ausschreitungen. Anlässlich der Debatte zum Jahresbericht der sächsischen Ausländerbeauftragten am 20.01.05 wurde die fremdenfeindliche Grundeinstellung der Neonazis in besonders deutlicher Form dargeboten. Der NPD-Abgeordnete Mirko Schmidt bezeichnete den Jahresbericht als eine "in zitronenfarbenes Papier gehüllte Absonderung des Herrn Ausländerbeauftragten", deutete mit Äußerung wie "sie werden sich noch umschauen, wie wir mit unserer Politik und mit unserer Position in der Ausländerfrage eines gar nicht mehr so fernen Tages Mehrheiten stellen werden" an, wie die reale Bedrohung für MigrantInnen durch die Neonazi-Fraktion aussieht und phantasierte von "multikulturellen Ghettos in unseren Städten". Kurz vor dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens im 2. Weltkrieg drängte sich die NPD mit einem dringlichen Antrag zum "Verhalten der Sächsischen Staatsregierung und des Landtags zu Erinnerungs- und Gedenkveranstaltungen zum 60. Jahrestag der anglo-amerikanischen Terrorangriffe auf die sächsische Landeshauptstadt Dresden" ins Scheinwerferlicht und verhöhnte mit ihren geschichtsrevisionistischen Parolen vom "Bomben-Holocaust" die Opfer des Nationalsozialismus. In der Debatte nutzten die NPD-Redner Holger Apfel und Jürgen Gansel das Plenum des Landtages dazu, um Opfer und TäterInnen gleichzusetzen und die historischen Tatsachen vollkommen zu verdrehen. Mit dem demonstrativen Verlassen des Landtages während einer Schweigeminute anlässlich des Jahrestages der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz (Holocaust-Gedenktag) unterstrich die NPD ihre menschenverachtende Einstellung. Das diese offensiven Strategien der NPD nicht immer zu einem Erfolg für die Neonazis werden, bekam man bei der von den Rechtsradikalen initiierten aktuellen Debatte "Grenzen dicht für Lohndrücker" am 18.05.05 auf eindrucksvolle Weise vorgeführt. Da die Herstellung der parteieigenen NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" in Polen und Litauen durch andere Fraktionen thematisiert wurde, endete die Sitzung in einem politischen Fiasko für die Neonazis. Holger Apfel rastete am Rednerpult aus und die NPD-Parolen wurden zu einem außer Kontrolle geratenen Bumerang. Bisher wurde jeder von der NPD gestellte Antrag im Landtag abgelehnt. Trotzdem schaffen es die Neonazis immer wieder Themen auf die Tagesordnung zu setzen, welche für die populistische Besetzung mit den von der NPD vertretenen antisemitischen und neo-nazistischen Parolen geeignet sind.
Müde in der Ausschussarbeit
Die NPD-Abgeordneten sind zwar in jedem Ausschuss vertreten, fallen jedoch nur durch die regelmäßige Stille zwischen ihren dogmatischen Auftakt- und Abschlussstatements auf. Die zwölf parlamentarischen Fachausschüsse bilden eigentlich den Schwerpunkt der Arbeit der Abgeordneten und bereiten die Entscheidungen des Plenums vor. Da sie in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings eine geringere Beachtung finden, scheint die NPD in ihnen nur sehr zurückhaltend aufzutreten. Eine Ausnahme bildete z.B. der provokante Auftritt des Neonazis Jürgen Rieger (u.a. Anmelder des Aufmarsches zum Todestag des Hitlerstellvertreters Rudolf Hess) als anzuhörender "Experte" im Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz am 1. Mai 2005 in Leipzig.
Heute Dresden, morgen Deutschland?
Über die eigentliche Parlamentsarbeit hinaus bietet der Status als Landtagsfraktion der neonazistischen NPD viele Möglichkeiten die Verbreitung und Verankerung ihrer Ideologie nachhaltig voran zu treiben. Sie können in Zukunft neonazistische ReferentInnen und Projekte über eine NPD-nahe Stiftung mit sächsischen Steuergeldern unterstützen und finanzieren. Die Landtagsgehälter und zahlreichen finanziellen Zuschüsse können in den Ausbau der Infrastruktur der Partei gesteckt werden, um sich in Sachsen sowie in anderen Bundesländern örtliche und vernetzte Strukturen für eine solide WählerInnenbasis zu schaffen. Es vergeht keine Woche ohne eine Reihe von Presseerklärungen der NPD-Fraktion, welchen natürlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als wenn diese Erklärungen in verräucherten Hinterzimmern provinzieller Neonazitreffpunkte verfasst worden wären. Mit ihrem Sitz in der Landeszentrale für politische Bildung und anderen öffentlichen Gremien erhalten sie bisher unerreichbare Agitationsbühnen und Einflussmöglichkeiten. Sollte es der NPD gelingen diese Mittel und Wege in den nächsten Jahren entsprechend auszunutzen, dann sind die daraus resultierenden Folgen nur schwer einzuschätzen. Wenn keine permanente kritische Auseinandersetzung mit ihren Inhalten stattfindet, besteht die Gefahr, dass das von der NPD vertretene neonazistische Gedankengut auch weiterhin bis tief in die Mitte der Gesellschaft vordringt und sich dort festsetzt.
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