Süddeutsche Zeitung vom 07.02.2008
Vorwurf der Untreue
Der Bundesschatzmeister der NPD, Erwin Kemna, ist verhaftet worden. Er soll die rechtsextreme Partei um mindestens 627.000 Euro betrogen haben.
Der Bundesschatzmeister der rechtsextremen NPD, Erwin Kemna, ist am Donnerstag verhaftet worden. Die Staatsanwaltschaft Münster wirft dem 57-Jährigen gewerbsmäßige Untreue zu Lasten seiner Partei vor. Kemna, der auch im Vorstand der NPD sitzt, soll in 65 Transaktionen zwischen Anfang 2004 und Juni 2007 mindestens 627.000 Euro aus der Parteikasse abgezweigt haben.
Das Amtsgericht Münster habe bereits am 31. Januar wegen Verdunkelungs- und Fluchtgefahr Haftbefehl gegen Kemna erlassen, erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt Hans-Jochen Wagner am Nachmittag in Münster. Der Schatzmeister sei daher an diesem Donnerstag in einem von ihm betriebenen Geschenkeladen im Münsterland festgenommen worden.
Zeitgleich schlugen 85 Beamte von Polizei und Staatsanwaltschaft zu: Etwa zwei Dutzend Polizisten durchsuchten in Berlin stundenlang die Bundeszentrale der Partei im Stadtteil Köpenick. Die anderen Beamten durchkämmten das Wohnhaus und die Küchenfirma Kemnas in Ladbergen sowie weitere Gebäude in Lengerich (Münsterland), Osnabrück und im sächsischen Riesa.
Der leitende Oberstaatsanwalt betonte, die Ermittlungen richteten sich ausschließlich gegen Kemna. Die Durchsuchungen in der NPD-Geschäftsstelle und in nahestehenden Organisationen seien sogenannte Durchsuchungen bei Dritten, es gebe aber keine weiteren Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren.
Bis zu zehn Jahre Haft möglich
Kemna habe sich noch nicht zu den Vorwürfen geäußert, erklärte der Oberstaatsanwalt. Er soll demnächst dem Haftrichter vorgeführt werden. Der Straftatbestand der Untreue kann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden, in besonders schweren Fällen sind bis zu zehn Jahre Haft möglich.
Auf die Spur des 57-Jährigen kamen die Ermittler durch die Anzeige einer Bank, der dubiose Transaktionen aufgefallen waren, wie Peter Opdensteinen vom Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen berichtete. Seit März 2007 werde ermittelt. Kemna hatte den Ermittlern zufolge zwischen sieben und 15 Konten bei verschiedenen Banken, was die lange Dauer der Ermittlungen erkläre. "Unmengen von Kontobewegungen mussten ausgewertet werden", sagte Wagner.
Der 1950 geborene Bilanzbuchhalter Kemna lebt in Ladbergen im Kreis Steinfurt in Nordrhein-Westfalen. Der seit mehr als 20 Jahren in der Partei aktive Funktionär arbeitet auch als Verlagsgeschäftsführer der Parteizeitung Deutsche Stimme.
Ernste finanzielle Lage
Der möglicherweise kriminelle Schatzmeister ist indes nicht das einzige Unglück, das der NPD derzeit droht. Die Bundestagsverwaltung geht davon aus, dass die NPD mit fingierten Quittungen und falschen Abrechnungen ihr Spendenaufkommen künstlich in die Höhe getrieben hat und deshalb zu Unrecht Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung in ihre Kasse geflossen sind.
Diesen Vorwurf hatte bereits im November auch der ehemalige NPD-Landesvorsitzende von Thüringen, Frank Golkowski, im Spiegel erhoben. Demnach soll die Parteiführung illegale Machenschaften gedeckt haben. Kemna hatte die Vorwürfe damals zurückgewiesen.
Die Bundestagsverwaltung fordert wegen der Affäre 870.000 Euro staatlicher Zuschüsse aus der Parteienfinanzierung zurück. Schatzmeister Kemna hatte daher vor kurzem von einer sehr ernsten finanziellen Lage seiner Partei gesprochen.
(sueddeutsche.de/dpa/AFP/AP/Reuters/schä/odg)
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