neuroticker 17 (2008/09)
http://www.pds-jugend-sachsen.de/content.php4?topnavi=310&PDSSESS=29ac6e0f07af18bb80f488b27120a7f3
Nach dem gescheiterten Verbotsverfahren gegen die neonazistische NPD stand die Partei im Jahr 2003 auf der Kippe. Zum einen gab es in der ältesten extrem rechten Partei der Bundesrepublik interne Streitigkeiten über die Neuausrichtung an einem revolutionären oder bürgerlichen Kurs.
Zum anderen herrschten Unklarheiten über VS-Spitzel in zahlreichen führenden Positionen. Dies hatte Zerwürfnisse und Austritte wichtiger Kader zur Folge. Ein Erfolg bei den sächsischen Landtagswahlen im September 2004 war „überlebensnotwendig für die NPD“ . „Es kommt jetzt auf uns an, Kameraden! Egal, ob in der Partei organisiert oder in freien Zusammenhängen arbeitend – Helft im sächsischen Wahlkampf – Helft siegen.“ forderte Thomas "Steiner" Wulff aus Hamburg in einem „Aufruf an alle freien Nationalisten“. Die Kräfteballung in Sachsen ging auf. Dass über 190.000 sächsische WählerInnen ihr Kreuz bei der NPD machten, übertraf selbst die eigenen Erwartungen und sorgte dafür, dass die Neonaziszene aus dem NPD-Verbotsverfahren gestärkt hervor ging.
Von den ursprünglich 12 NPD-Abgeordneten sind über 4 Jahre nach den Wahlen nur noch die Hälfte in der Fraktion. Klaus Baier, Jürgen Schön und Mirko Schmidt kehrten ihrer Partei enttäuscht den Rücken. Matthias Paul verwickelte sich in eine Kinderpornographie-Affäre und legte sein Mandat nieder. Die Integrationsfigur Uwe Leichsenring aus der Sächsischen Schweiz verstarb bei einem Verkehrsunfall. Klaus-Jürgen Menzel wurde ausgeschlossen, nachdem klar wurde, dass die Parteispitze ihn nicht mehr kontrollieren kann. Mit den beiden Hinterbänklern Rene Despang und Peter Klose ist die Nachrücker-Liste der Neonazis nun vollständig aufgebraucht.
Auch die zahlreichen Skandale werfen innerhalb der Neonazi-Szene kein gutes Licht auf die Partei. So wurde beispielsweise 2005 bekannt, dass die parteieigene Zeitung „Deutsche Stimme“ in Polen und Litauen gedruckt wird und erst im November diesen Jahres sorgte eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen Fraktionstheoretiker Jürgen Gansel und dem Ex-Terroristen und NPD-Mitarbeiter Peter Naumann in den Räumen des Landtages für Aufsehen. In rechts-konservativen Kreisen um den Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse ist die NPD deshalb bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen scheinbar schon so gut wie gescheitert.
Beim Anlegen eines herkömmlichen politikwissenschaftlichern Maßstabes zur Beurteilung der NPD, wird jedoch jede ernst zunehmende Wahlumfrage in Sachsen für jene Kreise zu einer Überraschung und löst Entrüstung aus. Die Neonazis behaupten sich stabil bei über 5 Prozent der WählerInnenstimmen .
Dies ist Ergebnis jahrelanger Aufbauarbeit. Bereits Ende der 1990er Jahre war die NPD in Sachsen vergleichsweise gut aufgestellt. Mit dem Umzug des Parteiverlages „Deutsche Stimme“ ins sächsische Riesa im Sommer 2000 kamen namhafte Kader gleich mit nach Sachsen. Der NPD-Landesverband ist, neben dem bayrischen, der mit Abstand stärkste in der Bundesrepublik. Daran ändert auch der neuerliche Austritt zahlreicher AktivistInnen des NPD-Kreisverbandes Vogtland nichts . In keinem Bundesland verfügt die NPD über mehr Mitglieder je 100.000 EinwohnerInnen. So war es kein Zufall, dass die NPD zu den sächsischen Landtagswahlen 2004 sämtliche Aktivitäten auf den Freistaat konzentrierte und damit erfolgreich war. Der Deutschlandpakt zwischen NPD und DVU schaffte unnötige Konkurrenz aus dem Weg. Die damalige Landesvorsitzende der Republikaner Kerstin Lorenz (verstorben 2005) zog gegen den Willen des REP-Bundesvorstandes die Wahlanmeldung ihrer Partei zurück und wurde mit einem Mitarbeiterposten im Landtag durch die NPD belohnt. Inzwischen sind DVU und REP durch die deutliche Hegemonie der NPD absolut bedeutungslos. Wer dachte, dass die Skandale im Landtag und der Zerfall der Ursprungsfraktion den Neonazis geschadet haben, wurde enttäuscht. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik schaffte es im Juni 2008 eine extrem rechte Partei flächendeckend mit Abgeordneten in alle Kreistage eines Bundeslandes einzuziehen.
Die Ausgangsvoraussetzungen für die NPD sind 9 Monate vor den nächsten sächsischen Landtagswahlen weitaus besser als vor den letzten. Trotzdem stellt der Wiedereinzug der Neonazis keinen Automatismus dar. Die freie Kameradschaftsszene wird vor den nächsten Urnengängen einen größeren Anteil vom Kuchen einfordern, als ihr bisher zugestanden wurde. Die NPD ist im Wahlkampf auf die Unterstützung parteifreier AktivistInnen angewiesen. Die Querelen um die Affäre des Ex-NPD-Schatzmeisters Kemna sorgen für eine Opposition innerhalb der NPD, die sich gegen den jetzigen Bundesvorstand und seine treuen Vasallen in Sachsen richtet. Die Clique um Apfel, Delle und Gansel ist im sächsischen Landesverband nicht mehr unumstritten. Viele Kameraden hatten sich mehr von ihren Abgeordneten erhofft.
Wie bereits im Jahr 2004 geht es bei den Wahlen für die NPD um alles. Eine Niederlage würde die Partei ins Chaos stürzen. Neben dem notwendigen gesellschaftlichen Druck, der in Sachsen momentan noch nicht zu erkennen ist, sind es demnach vor allem die Neonazis selbst, die ihrem Wiedereinzug in den sächsischen Landtag am 30. August 2009 im Weg stehen könnten.
Fussnoten
1 Antifaschistisches Infoblatt Nummer 64. 2004.
2 Thomas „Steinar“ Wulff ist seit Mitte der 1990er Jahre ein führender Neonazi der „freien Kameradschaftsszene“ in Norddeutschland. Seit 2004 ist er in der NPD aktiv.
3 vgl. hierzu: Fisher, Chris. Die Demokratie, die ANDEREN und WIR – Wiederwahl, Abgrenzung und Zusammenarbeit am rechten Rand der sächsischen Politik bis 2009. In: NIP/Weiterdenken. Die NPD im sächsischen Landtag. Analysen und Hintergründe 2008. (Veröffentlichung: Dezember 2008).
4 Bei einer repräsentativen Umfrage des Leipziger Instituts für Marktforschung kam die NPD im November 2008 auf 6 % in Sachsen. Vor den Landtagswahlen 2004 konnte die NPD nur in sehr wenigen Umfragen die 5%-Hürde überspringen und erreichte ein Ergebnis von 9,2%
5 Im November 2008 traten 13 Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Vogtland, darunter deren Vorsitzende, demonstrativ aus der Partei aus.
6 Der langjährige NPD-Schatzmeister Erwin Kemna wurde im September 2008 wegen der Veruntreuung von 627.000 EUR des Parteivermögens verurteilt. Er galt als enger Vertrauter von Parteichef Udo Voigt.
Von Michael Bergmann
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