Morgenpost Berlin, 17. September 2005
"Wir haben ein anderes System in der Schublade"
Die NPD versucht sich in ihrer Hochburg Sächsische Schweiz wie eine normale Partei zu geben - Im Wahlkampf wird deutlich, wie wenig das zutrifft. Sachsen - Dunkle Wolken hängen über dem Elbtal. Die Luft ist kühl und feucht. Es nieselt wie in der Waschstraße. Ein trauriger Wahlkampftag. Rechtsextremist Uwe Leichsenring, 38, steht vor der Mittelschule in Lohmen, nicht weit von Pirna. Ein paar Zehntkläßlern versucht er auf dem Weg zum Schulhof CDs in die Hand zu drücken - solche mit rechtsextremen Songs und dem Deutschlandlied in allen drei Strophen. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) macht Wahlkampf in der Sächsischen Schweiz. Seit Jahren ist sie in der Kommunalpolitik des Landkreises aktiv. Daß die Rechtsextremisten seit Herbst vergangenen Jahres im Dresdner Landtag sitzen, haben sie maßgeblich den Wählern im Elbsandsteingebirge zu danken.
Uwe Leichsenring aus Königstein, wo die NPD bei der letzten Kommunalwahl auf 21,6 Prozent der Stimmen kam, ist Landtagsabgeordneter und bewirbt sich als Direktkandidat für ein Bundestagsmandat. Leichsenring gilt als Wolf im Schafspelz und gibt gern Kostproben seines politischen Denkens: "Die ganze Ausländer-Show kostet uns Milliarden", behauptet er und fordert "konsequente Ausländerrückführung". Nur 1,6 Prozent der Bewohner in der Sächsischen Schweiz haben keine deutsche Staatsangehörigkeit. Auch ihnen droht der NPD-Funktionär, wenn er sagt: "Wir haben ein anderes System in der Schublade."
Leichsenring ist Inhaber der einzigen Fahrschule in Königstein und sitzt im Stadtrat. Hier kennt ihn jeder als Saubermann, der auf Dreckhaufen und wackelnde Verkehrsschilder aufmerksam macht. Leichsenring ist der nette Nachbar, grüßt stets freundlich, er hat den meisten Jugendlichen das Autofahren beigebracht. Als ein arbeitsloser Vater seiner Tochter neulich den Zuschuß zur Klassenfahrt nicht bezahlen konnte, zückte Fahrlehrer Leichsenring das Scheckbuch.
"Hier ziehen keine rechten Schläger durch die Straßen", besänftigt Ivo Teichmann, SPD-Stadtrat und Vorsitzender des Tourismusvereins "Elbsandsteingebirge", die Ängstlichen. Und doch bleiben die Touristen aus: 5,8 Prozent Minus im ersten Halbjahr. "Da, gucken Sie", sagt Teichmann beim Gang durch die Straßen, "da war mal der Schuh-Großer drin. Jetzt ist er pleite."
Dem sauber verputzten Schreibwarenladen schräg gegenüber prophezeit Teichmann das baldige Aus, dem Geschäft mit "Lonsdale"-Klamotten und Springerstiefeln ebenfalls. In Königstein ist jeder fünfte ohne Arbeit. "Können Sie sich vorstellen, wieviel sozialen Brennstoff es hier gibt?" Klar, daß da die NPD Protestwähler fangen könne - zumal die PDS in Königstein bedeutungslos sei. "Warum müssen wir überhaupt Angst haben vor so einer Partei", fragt ein Einheimischer über den Gartenzaun.
Tatsächlich etabliert sich die NPD als "ganz normale Partei", als wählbare Alternative für jedermann. Das befürchtet jedenfalls Pirnas Oberbürgermeister Markus Ulbig: "So lenken die Rechtsextremen von ihrem Wahnziel ab, der Abschaffung der Demokratie." Der CDU-Mann weiß: "Viele Leute gehen damit viel zu lax um." Dann erzählt Ulbig vom "Sonnenstein", der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in Pirna, wo im Auftrag der Nationalsozialisten 15 000 geistig und körperlich behinderte Menschen umgebracht wurden. Hier testeten die Massenmörder den Prototyp der Gaskammern von Auschwitz. Darüber wurde bis 1989 geschwiegen. Eine Schande sei, sagt Ulbig, daß die NPD ausgerechnet in dieser Gegend so aktiv sei.
Sven Forkert ist einer von zwei Hauptamtlichen der "Aktion Zivilcourage", die mit Info-Veranstaltungen, Schulvorträgen und Konzerten verhindern wollen, daß Rechtsextremismus hoffähig wird. Man müsse die NPD bloßstellen mit Argumenten, die jeder Wähler versteht, sagt der 28jährige. "Ich habe Leichsenring schon mit zitternden Händen ans Mikrofon gehen sehen, der ist echt keine große Nummer."
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